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Die ungewisse Zukunft des UX Design

UX Design hat es sich in einer operativen Nische bequem gemacht. Aber wird es dort überleben? Und, wenn nicht, wo liegt dann die Zukunft des UX Design?

Die Unternehmen, mit denen wir bei Iconstorm zusammenarbeiten, haben derzeit zwei große Sorgen: Die eine davon ist die Strategie, die andere liegt in der Umsetzung. Und UX Design ist in meinen Augen eine typische Umsetzungsdisziplin. Damit erfüllt es zwar eine wichtige Rolle, droht aber auch, seinen Sinn zu verlieren und sich obsolet zu machen. Warum das so ist, wollen wir uns in diesem Blogpost anschauen.

 

Der unbefriedigende Status quo des UX Design

Das UX Design hat eine sehr wichtige Aufgabe, nämlich Menschen durch verlässliche und intuitiv nutzbare Services das Leben zu erleichtern. Die Zufriedenheit der Nutzer – also der Kunden – steht im Fokus. Kunden beteiligen sich am Testing und Kunden entscheiden über Tests mit, wie Produkte entstehen. Beim Design dieser Produkte geht es dann darum, Erwartungen zu erfüllen. Fehler zu vermeiden. Bedürfnisse zu befriedigen.

In dieser operativen Nische hat es sich das UX Design heute bequem gemacht. Es soll möglichst lean sein und Lean UX gleicht inzwischen einem Trial-and-Error-Ansatz. Varianten erstellen, das ist heute billig. Testen ebenfalls. So lange, bis das Produkt möglichst nah am Kunden ist, möglichst bequem nutzbar.

Damit legt das UX Design den Fokus auf den Nutzer und dessen Umgang mit einem Produkt. Eine Umsetzungsdisziplin eben. Aber das entbindet uns als Designer nicht von einer umfassenderen Verantwortung, die wir auch für die Gesellschaft tragen. Eine reine Konzentration auf die Bequemlichkeit des Nutzers hilft auf Dauer weder der Gesellschaft, noch dem Nutzer selbst.

 

Eintracht Frankfurt oder Bayern München?

Stellen wir uns mal vor, wir machen das Experiment und fragen auf der Straße: Wer hat die bessere User Experience? Die Eintracht oder Bayern München? Die Antworten könnten unterschiedlich ausfallen.

Der Bayern-Fan

wird uns erzählen, dass es selbstverständlich der FC Bayern ist. Er sieht jedes Jahr Weltklasse-Spieler. Er trifft in jeder Stadt (sogar weltweit!) Menschen, die mit dem Verein sympathisieren. Sein Verein gewinnt 80 Prozent der Spiele und wird ständig Meister, ein Pokal- oder Champions-League-Titel sind ebenfalls immer drin. Als Bayern-Fan befindet er sich in einem ständigen Loop aus positivem Feedback! Was kann dagegen bitte ein Eintracht-Fan vorweisen?

Der Eintracht-Fan

könnte zunächst geneigt sein, dem Bayern-Fan zuzustimmen. Denn er erinnert sich: An die verpasste Meisterschaft in den 90ern und den ersten Abstieg seines Traditionsvereins, den drohenden Lizenzentzug und den Abstiegskampf in der zweiten(!) Liga. Bis heute kann der Verein nicht an seine ruhmreiche Vergangenheit anknüpfen. Dann erinnert er sich aber auch an den Wiederaufstieg, den legendären Abstiegskampf aus dem Jahr 1999, an Leid, Wut und Verzweiflung, aber genau deshalb auch an überschwängliche Freude. Wann bitte, hat ein Bayern-Fan so etwas jemals erlebt?

Unter dem Titel „Don’t make me think!“ veröffentlichte Autor Steve Krug den Grundstein für modernes UX Design – aber hat er Recht?

Die schöne neue Welt der User Experience

Wenn wir einen Vergleich ziehen, repräsentiert das Produkt „FC Bayern“ eine tolle Usability. Bayern-Fan zu sein ist bequem und einfach. Man bekommt von dem Produkt FC Bayern ständig positive Rückmeldungen, wenn man es nutzt; selten verdirbt einem eine Niederlage den Samstagabend. Es ist eigentlich egal, wen der Trainer aufstellt oder wie die Taktik ist – darüber muss man sich gar keine Gedanken machen. Einfach hingehen und genießen!

Ganz prinzipiell hat UX Design eigentlich das Ziel, genau solche positiven Erfahrungen herzustellen. Schauen wir zum Beispiel auf ein Social Network wie Facebook: Die Algorithmen im Hintergrund sind darauf ausgelegt, uns genau die Inhalte zu zeigen, die wir (vermeintlich) am besten oder interessantesten finden. Wir ständig bombardiert mit Nachrichten darüber, dass wir „gemocht“ werden. Die Likes machen süchtig – und genau das sollen sie auch. Und taucht dann doch einmal ein unbliebsamer Kommentar auf (immerhin, die einzige Möglichkeit, hier negatives Feedback zu erhalten), können wir den Autor des Kommentars immer noch blockieren.

Eine schöne, neue, heile Welt. Mit Folgen…

Eine reine Konzentration auf die Bequemlichkeit des Nutzers hilft auf Dauer weder der Gesellschaft, noch dem Nutzer selbst.
Felix Guder

Heißt Usability auf Deutsch: Bloß nicht nachdenken?!

Heute dominieren Produkte wie Facebooks Netzwerk unsere digitalisierte Welt: Als Nutzer bekommen wir für fast alles bequeme, einfache Anwendungen vorgesetzt, die wir problemlos bedienen können. Genau deshalb sind sie so beliebt!

Jedes Kind kann mit einem Smartphone umgehen, aber die Entwicklungen gehen weit darüber hinaus. Bald kann praktisch auch jedes Kind Auto fahren, oder besser: Ein Auto für sich fahren lassen. Und kann es etwas nicht, fragt es bald einfach eine künstliche Intelligenz. Doch wie drastisch die Langzeitfolgen dieser nutzerzentrierten Bedürfnisbefriedigung ausfallen könnten, ist derzeit kaum einzuschätzen.

 

Nachteile einer perfekten User Experience

Überlegen Sie mal: Erinnern Sie sich daran wie Sie Ihre ersten Erfahrungen mit dem PC gemacht haben. Vielleicht haben Sie ihr selbst zusammengebaut. Oder Sie mussten sich mit Familienmitgliedern herumstreiten, wenn mehrere Leute ins Netz gehen oder telefonieren wollten? Ging ja damals nicht. Vielleicht erinnern Sie sich an den Bau Ihrer ersten Website, ganz ohne hilfreiche Tools oder Content Management Systeme.

1. Wir lernen nichts daraus

Um bei unserer Fußball-Analogie zu bleiben: Unsere ersten Erfahrungen mit Technologie hatten wohl definitiv auch mit Leid zu tun; da war man näher am Eintracht- als am Bayern-Fan. Aber genau diese Schmerzen hatten für uns auch einen Lerneffekt – ob wir eine Programmiersprache gelernt oder uns IT-Wissen angeeignet haben. Diese Erlebnisse waren schon für uns persönlich wertvoll, wahrscheinlich viel wertvoller, als jeder unserer Besuche auf Facebook. Als Frankfurter Agentur können wir somit ohne jeden Zweifel feststellen, dass es besser ist, Eintracht-Fan zu sein als Bayern-Fan.

2. Es gibt weniger Chancen auf echte Innovation

Wohl nie in der Geschichte der Menschheit folgten sinnvolle Innovationen schneller aufeinander als in der noch jungen Geschichte der Digitalisierung. Menschen mit Erfindergeist, Ideenreichtum und Experimentierfreude scheiterten sich voran und entwickelten Technologien, Produkte, Services, die immer rasanter unsere Gesellschaften verändern. Doch die Wenigsten von ihnen sind aus den Walled Gardens, den geschlossenen Plattformen des heutigen Internet hervorgegangen.

In genau diesem Punkt liegt die große Gefahr: Wenn wir UX Design so begreifen, dass es nur dafür da ist, Produkte auf die Bequemlichkeit und kurzfristige Bedürfnisbefriedigung von Nutzern auszurichten, wachsen bald alle Nutzer in einer Erlebniswelt heran, die so perfekt ist, dass sie gar nicht mehr den Bedarf haben, sich näher damit zu beschäftigen. Laufen wir damit in eine Richtung, in der es weniger sinnvolle Innovationen geben wird?

 

Die strategische Verantwortung von Design

Wir haben eingangs betont, dass wir als Designer eine umfassende Verantwortung für die Gesellschaft haben. Wenn wir nur vom Nutzer aus denken, laufen wir nämlich Gefahr, die Implikationen von Produkten die nähere und fernere Umgebung der Nutzer zu ignorieren. So könnten wir uns fragen, was die ökologischen oder sozialen Kosten eines Produktes sind. Was am Ende seiner Lebensdauer passieren soll. Welche Werte es repräsentiert oder sogar fördert.

Auch für Unternehmen sind das langfristig angelegte strategische Fragen. Wir wissen, dass es durch die derzeitigen Umbrüche und Disruptionen, denen die allermeisten Branchen ausgesetzt sind, schwieriger wird, sich auf Strategien zu konzentrieren. Denn sie verlieren an Halbwertszeit, bieten weniger Halt, werden manchmal förmlich zusammengeschossen durch radikale Veränderungen. Umso erklärlicher, dass viele stark auf Umsetzungsdisziplinen wie UX Design setzen, dabei versuchen diese noch leaner und noch agiler zu betreiben.

 

Liegt die Zukunft des UX Design in einer strategischeren Ausrichtung?

Die stärkere Betonung von Lean UX und die starke Fokussierung auf die Nutzer führen das UX Design gleichsam in eine Krise. Denn AI-Systeme werden schnell lernen, die auf Routinen beruhenden Bedürfnisse der Kunden schneller und billiger zu erfüllen als UX Designer. Das würde zu einer Deflation des UX Designs führen und gleichzeitig die Überbetonung der Nutzerzentrierung gegenüber strategischen Fragen nochmals verstärken.

Muss UX Design also den Blick in die andere Richtung werfen? Hat es in Zukunft eine Chance, wenn es sich stärker um strategische Themen kümmert und seine Rolle hinterfragt? Wenn es sich nicht nur auf die kurzfristigen Bedürfnisse von Nutzern konzentriert, sondern sich auch die Frage stellt, was für diese langfristig am besten ist? Und damit auch für die Gesellschaft im Allgemeinen?

In diesem Sinne ist es Aufgabe von Designern, heute mehr zu gestalten, als „nur“ das Kundenerlebnis. Und das im Interesse aller Beteiligten.

 

UX Design – weiter gedacht

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