Künstliche Intelligenz, Narrow Artificial Intelligence, Design, Nutzerzentrierung

Künstliche Intelligenz und Design: Begriffsbestimmung und Status quo

ai und design

Artificial Intelligence, Algorithmen, Big Data, Machine Learning – ob in Fachzeitschriften, Film oder Philosophie beschäftigen wir uns schon lange nicht mehr damit, ob diese Themen unsere Zukunft prägen werden, sondern vielmehr wie. Das Thema wirft viele Probleme auf –  für Philosophen, Rechtswissenschaftler, Programmierer. Und natürlich auch für Designer. Denn in Zukunft wird kaum ein Produkt, ob Dienstleistung, Maschine oder Software noch ohne irgendeine Form künstlicher Intelligenz auskommen. Schon deshalb beschhäftigen wir uns bei Iconstorm intensiv mit dem Thema, ob in Agenturprojekten, bei Vernetzungstreffen in unserer Nachbarschaft oder bei Großveranstaltungen in Übersee. (Jochen Denziger spricht auf der SXSW in Texas über AI und Design!)

Künstliche Intelligenz ist also ein gesellschaftliches Thema. Doch bei all der an- oder gar aufgeregten Diskussion machen wir uns selten bewusst, worüber wir eigentlich reden. Gerade aus Nutzerperspektive sind ominöse „Algorithmen“ häufig Black Boxes, denen man weitgehen hilflos gegenüber steht. Wir möchten mit einer kleinen Artikelserie zu dem Thema nun Licht ins Dunkel bringen und systematisieren, womit wir Menschen da eigentlich konfrontiert sind. In Teil 1 kümmern wir uns zunächst um die Frage, was eigentlich Intelligenz ist, und inwiefern das mit aktuellen Nutzungsformen künstlicher Intelligenz zusammenhängt.

 

Was ist eigentlich Intelligenz?

Bevor wir über künstliche Intelligenz sprechen, sollten wir erstmal überlegen, was es eigentlich zu der menschlichen Intelligenz zu sagen gibt. Schließlich ist dieser Begriff lange Zeit ausschließlich um den Menschen gekreist.

Zuerst einmal das Wichtigste: In der Psychologie gibt es bisher gar keine einheitliche Definition menschlicher Intelligenz. Sie ist vielmehr ein Sammelbegriff, unter dem verschiedene Theorien zu den Aspekten der kognitiven Leistungsfähigkeit von Menschen subsumiert werden. Es geht dabei etwa um die Fähigkeit, zweckvoll zu handeln oder neuartige Problemstellungen aufgrund vorangehender Erfahrungen zu lösen.

Einige bekannte Modelle zur Intelligenz

g-Faktor und Primärfaktoren

Charles Spearmans Zwei-Faktoren-Theorie: Der britische Psychologe postulierte zu Beginn des 20. Jahrhunderts eine Zwei-Faktoren-Theorie, nach der jeder Mensch eine Art „general intelligence“ (g-Faktor) besitzt, die an all seinen kognitiven Leistungen beteiligt ist. Diese einzelnen Leistungen unterteilen sich jedoch in unterschiedliche Fähigkeitskategorien; und jede Kategorie wird von weiteren speziellen s-Faktoren mit beeinflusst, die bei Spearman allerdings noch nicht definiert sind.

Thurstones 7 Primärfaktoren: Der amerikanische Psychologie Louis Leon Thurstone kritisierte Spearmans Modell und grenzte basierend auf statistischen Modellen seine Theorie der Primärfaktoren davon ab. Die besagt, dass es sieben klar voneinander abgrenzbare Arten von Intelligenz gibt, nämlich

  • die Rechenfähigkeit,
  • Auffassungsgeschwindigkeit,
  • das schlussfolgernde Denken,
  • räumliches Vorstellungsvermögen,
  • ein assoziatives Gedächtnis,
  • Sprachbeherrschung und
  • Wortflüssigkeit.

Die Primärfaktoren sind voneinander abgrenzbar; allerdings weisen sie in Individuen eine hohe Korrelation miteinander auf, die Spearman auf seinen g-Faktor zurückführte. Der Psychologie Raymond Bernard Cattell führte die Theorien von Spearman und Thurstone später in einem hierarchischen Modell zusammen.

 

Emotionale Intelligenz

In den 80er Jahren war es zuerst Howard Gardner, der mit seiner Theorie multipler Intelligenzen die Intelligenzforschung weiterentwickeln wollte. Zwar wurde sein Ansatz weitgehend auseinandergenommen, doch bildeten die dort postulierten Inter- und Intrapersonalen Intelligenzen eine Grundlage für die Theorie der emotionalen Intelligenz, die in den 90er Jahren aufkam. Zurückgehend auf Edward Thorndike entwickelte David Goleman ein Modell, das insgesamt vier Kompetenzbereiche unterscheidet:

  • Selbstwahrnehmung, also das Wahrnehmen und Verstehen der eigenen Gefühle
  • Selbstmanagement, die Kontrolle der eigenen Gefühle und Handlungen
  • Einfühlungsvermögen, das Wahrnehmen und Verstehen der Emotionen anderer
  • Beziehungsmanagement, also das Verstehen und Beeinflussen von zwischenmenschlichen Beziehungen

In der stark von Statistik getriebenen Intelligenzforschung ist das Thema zwar umstritten, jedoch haben sich Konzepte wie die Fähigkeit zur Empathie oder zu einem konstruktiven Selbstmanagement besonders in der Wirtschaft durchsetzen können, da sie wichtige Grundlagen für unternehmerischen Erfolg darstellen.

Was ist künstliche Intelligenz?

Als Begriff ist künstliche Intelligenz nicht neu und tauchte schon 1955 das erste Mal auf. Das Thema hat sich zwar in der Zwischenzeit weit geöffnet, aber wir wollen es erstmal darauf herunterbrechen, was künstliche Intelligenz heute praktisch für uns bedeutet. – Sprich: Wie wir künstliche Intelligenz nutzen.

 

Wie wir künstliche Intelligenz heute nutzen

Formen von künstlicher Intelligenz begegnen uns heute täglich, beim schreiben in Messengern oder bei einfachen Google-Suchen. Sie werden im Journalismus eingesetzt, in Videospielen und im Marketing. Schlagzeilen macht sie besonders dann, wenn sie Go, Schach und Jeopardy spielt oder in der Wirtschaft bemerkenswerte Ergebnisse erzielt: Zum Beispiel, wenn es einem Deepmind gelingt, die Kühlkosten in Googles Rechenzentren um 40 Prozent zu senken. Manche der Beispiele sind so mondän, dass uns im Alltag kaum Reaktionen entlocken. Höchstens bei Aussichten auf autonome Fahrzeuge zucken wir noch mit der Wimper. Das alles hat natürlich einen Grund…

 

Künstliche Intelligenz ist noch nicht weit entwickelt

Wenn wir mit Begriffen wie Machine Learning konfrontiert werden und uns die aktuellen Einsatzmöglichkeiten künstlicher Intelligenz anschauen, sind wir wieder nahe an der Wurzel des Intelligenzbegriffs. KI steht hier für die Fähigkeit von Maschinen, Aufgaben auszuführen und Probleme zu lösen, zu deren Bewältigung „Intelligenz“ benötigt wird. Basierend auf Vorwissen (Daten) und der Fähigkeit, daraus durch Berechnungen Muster abzuleiten, können diese Maschinen dazulernen und Probleme mit steigender Datenbasis und Rechenleistung immer effizienter lösen. Sie werden also trainiert und damit „schlauer“. Auf diese Art werden beispielsweise Googles Suchvorschläge immer genauer, die aufgrund der Suchgeschichte eines Users Prognosen zu dessen aktueller Intention anstellen.

Diesem Prinzip folgend wird auch Software das Autofahren beigebracht: Die wird nämlich mit dem Videospiel GTA trainiert, bis sie Erfahrungswerte (eine Datenbasis) zu allen erdenklichen Verkehrssituationen aufgebaut hat.

 

Narrow Artificial Intelligence (ANI)

Die oben beschriebene Art künstlicher Intelligenz hat einen Namen: Wir sprechen von „Narrow Artificial Intelligence“ (ANI). Sie bewegt sich auf der ersten von drei Entwicklungsstufen, die mit dem Begriff in Verbindung gebracht werden. (Außerdem gibt es noch Artificial General Intelligence und die Artificial Super Intelligence. Mit denen beschäftigen wir uns im nächsten Teil!)

Eine Artificial Narrow Intelligence ist demnach eine Intelligenz, die sich auf eine einzige Aufgabe konzentriert, beispielsweise das Schachspielen. Aufgrund der heutigen Rechenleistungen können ANI ihre Aufgaben so gut bewältigen, dass sie darin Menschen spielen schlagen können. Und aufgrund der Big Data, die durch das Internet (of Things) zusammenkommen, können wir solche Arten der KI für viele unterschiedliche Aufgaben trainieren.

 

Der Unterschied zwischen ANI und menschlicher Intelligenz

Dennoch hat diese Art der Intelligenz gegenüber den Menschen einen entscheidenden Nachteil: Sie kann eben immer nur eine einzige Aufgabe lösen – diese eben besonders gut. Der Mensch hingegen ist dazu in der Lage, auf unterschiedlichsten Gebieten Transferleistungen zu erbringen. Oxford-Philosoph Nick Bostrom vergleicht daher das Leistungsspektrum von ANI mit dem von Tieren: Während beispielsweise Bienen problemlos lernen können, einen richtig guten Bienenstock zu bauen, Biber dafür Meister darin sind, einen Damm zu errichten, ist es nicht möglich, der Biene beizubringen, einen Damm zu bauen. Der Mensch hingegen kann beides – und zwar durch seine Intelligenz.

Genau deshalb tun wir uns derzeit noch schwer, bei künstlicher Intelligenz überhaupt von „Intelligenz“ zu sprechen. Denn dazu müsten die (zugegeben) unheimlich anspruchsvollen Algorithmen, die wir derzeit anwenden, noch einen großen Sprung machen, nämlich den, zu einer Artificial General Intelligence. (Vom Thema der Emotionalen Intelligenz ganz zu schweigen.) Aber dazu mehr im nächsten Teil.

A bee doesn’t build dams, and a beaver can’t build a hive. A human, watching, can learn to do both…
Nick Bostrom, The Ethics of Artificial Intelligence (2011)

ANI: Künstliche Intelligenz und Design

Ob wir nun bei ANI von künstlicher „Intelligenz“ sprechen oder von ausgeklügelten Programmen, sei dahingestellt. Fakt ist: Auf diese Art heruntergebrochen ist das Thema schon gar nicht mehr so kompliziert. Wenn wir wissen, wie wir ANI einsetzen können, wir genau diese Frage nach dem „Wie?“ zu einer Gestaltungsaufgabe. Schließlich möchten wir, dass die Algorithmen für uns arbeiten – und nicht gegen uns. Das heißt, an uns Designer wird nun die Anforderung gestellt, bei diesem Thema aktiv zu werden und den Weg zu weisen, wie mittels KI so etwas wie sinnvolle Innovation möglich wird. Also Innovation, die auch insbesondere die Nutzerperspektive berücksichtigt. Und genau da ist noch viel zu tun, wenn wir uns nochmals die Hilflosigkeit der Nutzer gegenüber den heutigen „Black Boxes“ vergegenwärtigen.