W3+ FAIR, Design, Produktentwicklung, Prototyping

Iconstorm mit Design to Business auf der Fachmesse W3+ in Wetzlar

Bild: W3+ FAIR Stände von der Tribüne der Rittal Arena fotografiert
Die W3+ FAIR, die jährlich in Wetzlar stattfindet, ist eine kleine, aber feine Fachmesse der Optik-, Elektronik- und Mechanikbranchen. Iconstorm war mit dem Design-to-Business-Netzwerk vor Ort, um zu diskutieren, warum Design heute im Produktentwicklungsprozess immer wichtiger wird und welchen Beitrag es leisten kann.

Von der Bedeutung des Prototyping und dicken Brettern, die gebohrt werden müssen

Als Fachmesse ist die W3+ FAIR in Wetzlar jährlicher Branchentreffpunkt des regionalen Wirtschaftsclusters – bekannte Marken aus der Optik, Feinwerk- und Messtechnik wie Leica Camera, Leitz Messtechnik, Minox und Zeiss haben hier ebenso ihren Sitz wie einige der vielgerühmten Hidden Champions. Die Branche fasziniert durch eine Mischung aus HighTech und manufaktureller Handwerklichkeit.

Die Messe zeigt dabei: Die Akteure in einer von einem der Aussteller als „konservativ“ bezeichneten Branche kennen sich, die Unternehmen sind oft stark vernetzt und kooperieren in vielen Bereichen.

Trotz renommierter Marken wie Leica (die vor den Toren der Stadt ein großartiges Museum und Werk haben, dessen Gebäude von den Frankfurter Architekten Gruber und Kleine-Kraneburg entworfen wurden) ist Gestaltung – Industriedesign, wie auch digitales Design – für viele der Investitionsgüterhersteller ganz offensichtlich noch eine eher unbekannte Größe. Entsprechend sind schon auf den ersten Blick bei nicht wenigen der Aussteller bspw. Usability-Probleme bei den softwarebasierten Steuerungen und Messinstrumenten zu erkennen.

 

Vor Ort mit Design to Business

Das Netzwerk Design to Business der IHK Offenbach, in dem wir aktiv sind, ist so auch schon seit vier Jahren auf der W3+ FAIR präsent, um den Unternehmen den Nutzen von Design näher zu bringen.In diesem Jahr stellten sich auf dem Design-to-Business-Stand neben uns auch Kollegen von as/industrial design, Limburg, der HFG Offenbach , Lekkerwerken, Wiesbaden , studio gross klein, Gießen und Studio Wagner:Design, Frankfurt der Diskussion mit den vor allem ingenieursgetriebenen Wetzlarer Unternehmen.

Bild: Besucher auf der W3+ FAIR in Wetzlar
Die Stimmung in Wetzlar war aufgeräumt und positiv, wie es sich für eine Fachmesse gehört.

Bild: Prototypen für eine Hörgeräte-App
Unsere Prototypen sorgten am Design-to-Business-Stand für viel Gesprächsstoff.

Schnelles Prototyping für frühes Nutzerfeedback: Wir stellen auf der W3+ FAIR Design-Methoden vor

Um unser ureigenstes Thema »Digitales Design« dar- und vorzustellen hatten wir verschiedene Demonstratoren von Anwendungen im Gepäck, an denen wir im Moment arbeiten. Zur Überraschung einiger Besucher waren diese nun nicht digital, sondern quick & dirty aus Papier und Lego gefertigt und gaben einen Einblick in unsere Arbeitsweise. So konnten wir am Stand mit den Besuchern ganz praktische Fragen zum menschzentrierten Vorgehen und unseren Methoden diskutieren.

Gründe für schnelles Prototyping gibt es viele. Neben der – offensichtlichen – Tatsache, dass diese schon in sehr frühen Phasen der Entwicklung entstehen können und dabei kein großes Budget benötigen, ermöglichen sie das rasche Erstellen möglicher Lösungsalternativen und erlauben das spontane Überprüfen verschiedener Arbeitshypothesen im Team getreu dem Grundsatz fail early. Zugleich können aber bereits frühe Prototypen genutzt werden, um sie Anwendern vorzustellen und Feedback einzuholen. Sie sind, zeigt unsere Praxis, leicht zugänglich und sehen nicht ehrfurchtgebietend aus. Dadurch verlieren die Menschen, die sie testen, Berührungsängste und reagieren offener.

Die Forschung hat das übrigens schon länger bestätigt: Aus einer Studie mit Architekten ist bekannt, dass die als ideal empfundene Darstellungsqualität von CAD-Renderings abhängig ist von der Projektreife; zu einem frühen Entwicklungsstand werden skizzenhafte Visualisierungen bevorzugt, weil sie offener sind und sich die Befragten eher trauen, Kritik zu üben. [Schumann et al. 1996]

In der Entwicklung ermöglichen es also gerade diese groben Demonstratoren und Modelle, frühe Ideen zu überprüfen, erste Reaktionen von Anwendern einzuholen und schon sehr frühzeitig Wünsche und Bedürfnisse wie Probleme und Schmerzpunkte zu entdecken. Und diese Erkenntnisse helfen natürlich im weiteren Prozess, zielgerichtet und systematisch passende Lösungen zu entwickeln.

Lean meets DIN – Engineering trifft Design

Workshop mit Jochen Denzinger und Günther Würtz

Daneben vertiefte das Design-to-Business-Netzwerk in einem kleinen, einstündigen Workshop unter dem Titel »Lean meets DIN – Engineering trifft Design« die Frage, inwieweit sich der traditionelle Produktentstehungsgsprozess vor dem Hintergrund der Digitalisierung verändert -– warum sollten und wie können hier Designmethoden integriert werden?

In einem Impulsvortrag zusammen mit Dr. Günther Würtz vom Steinbeis MIT stellte Jochen Denzinger entsprechend dar, wo wir entscheidende Berührungspunkte und Notwendigkeiten sehen.
Beide sind wir ein länger eingespieltes Team und arbeiten an der Schnittstelle von Design und Engineering zusammen. Aktuell zum Beispiel im vom BMBF geförderten Projekt »CIP-Med«, das sich auf das Thema Cross-Industry Innovation in der Medizintechnik konzentriert.

Bild: Jochen beim Vortrag auf der W3+ FAIR
Jochen stellt das Projekt CIP-Med vor, an dem er mit Günther Würtz arbeitet. Mehr dazu bei uns im Blog.

Bild: Jochen Denzinger und Günther Würtz vor ihrem Workshop auf der W3+
Guter Dinge vor dem Lean meets DIN Workshop: Jochen Denzinger und Günther Würtz.

Die Herausforderung: Häufig fehlt in der Produktentwicklung der Anwendungsbezug

Zunächst referierte Günther Würtz dabei über ein gemeinsames Projekt für die 2e Mechatronic. Der auf Komplexitätsmanagement spezialisierte Ingenieur, der den schwäbischen Mittelständler schon lange berät, berichtete über die Ursprünge: Das auf MID-Technologie spezialisierte Unternehmen hatte für einen Kunden einen besonderen Neigungssensor entwickelt. Diese Innovation sollte in weiteren Varianten am Markt angeboten werden, hatte aber nicht den gewünschten Erfolg. Intern betrachtete man das als Vertriebsproblem. Aber war es das auch?

Nach der Analyse von Steinbeis lag das Problem weniger beim Vertrieb, sondern war früher anzusiedeln: Nämlich bereits am Beginn des Produktentwicklungsprozesses, im sogenannten Requirements Engineering.

In nicht wenigen technologiegetriebenen Entwicklungsprojekten fehlt hier ein systematisches Einbeziehen des Anwendungsbezugs und nur allzu selten wird der Blick auf den späteren Anwendungskontext und die Menschen, die mit einem Produkt umgehen, gerichtet. Durch das Ausblenden der Nutzer und des Anwendungskontextes laufen Unternehmen Gefahr, Lösungen für Probleme zu entwickeln, die es so gar nicht gebe.

Vor dem Hintergrund der laufenden Digitalisierung verschärfe sich dabei – Stichwort Personalisierung und Individualisierung – die Notwendigkeit, das derzeitige Vorgehen anzupassen und zu erweitern. Just dafür sei die Kooperation mit Designern prädestiniert.

 

Die Design-Branche kann helfen, muss aber noch Überzeugungsarbeit leisten

Jochen bestätigte diese Sicht auf den Status Quo: Designer werden gerade in Branchen, in denen primär technologiegetrieben entwickelt wird, allenfalls geholt, um die Produkte am Schluss noch ein wenig aufzuhübschen. Entsprechend ist von den Designern nach wie vor einiges an Überzeugungsarbeit zu leisten, um den Nutzen wie auch die Systematik im Vorgehen darzulegen. Dabei existiert die Systematik längst: Neben dem Double Diamond Modell [Design Council 2005] verwies Jochen auf das Vorgehen des Human Centered Design [ISO 9241-210:2010].

Exemplarisch betonte Jochen anschließend die Bedeutung des permanenten Prototypings als Grundlage der internen Kommunikation und Ausrichtung im Entwicklungsteam und spannte einen Bogen über die verschiedenen möglichen Formate auf.

Bild: Der Double Diamond visualisiert den Kreativprozess
Der „Double Diamond“ visualisiert die Phasen im Kreativprozess: Ständig wird zwischen Phasen des Divergent Thinking (Research und Exploration) und des Convergent Thinking (Bewertung und Fokussierung der Ideen) gewechselt.

Einen Ausblick gab es zudem auf die für dieses Jahr erwartete Revision der VDI Richtlinie 2424 „Industriedesign“ – Jochen ist hier Co-Chair des Fachausschusses und wirkt an der Überarbeitung mit. Hier wird der Industriedesignprozess – und damit die entsprechenden Aktivitäten und Methoden – mit dem ebenfalls überarbeiteten Produktentstehungsprozess (PEP) der VDI 2221 abgeglichen.

In der abschließenden Diskussion mit den weiteren Designern aus dem Design-to-Buiness-Netzwerk wurde nochmals der Frage nachgespürt, inwieweit die Anforderungen tatsächlich mit wirklichen Anwendern vor Ort, in situ, erhoben werden müssen oder ob hier nicht die Fähigkeit zur Empathie ausreichend sein könne – dies spare Ressourcen und sei dem Auftraggeber gegenüber einfacher zu vermitteln. Im Einzelfall kann dies bei niederkomplexeren und einfach zugänglichen Produkten durchaus ein sinnvoller Weg sein, so das Fazit. Aber die Praxis zeige, dass gerade bei komplexeren Produkten in speziellen Märkten oft ganz eigene Bedingungen und Anforderungen vorzufinden sind, denen man nur durch entsprechende Beobachtungen und Befragungen auf die Spur kommt.

 

Referenzen

Schumann, J., Strothotte, T., Laser, S., Raab, A., 1996. Assessing the Effect of Non-photorealistic Rendered Images in CAD, in: Proceedings of the SIGCHI Conference on Human Factors in Computing Systems, CHI ’96. ACM, New York, NY, USA, pp. 35–41. https://doi.org/10.1145/238386.238398

Design Council, 2015. The Design Process: What is the Double Diamond? [WWW Document]. Design Council. URL https://www.designcouncil.org.uk/news-opinion/design-process-what-double-diamond (accessed 1.25.13).

DIN Deutsches Institut für Normung, 2010. Ergonomie der Mensch-System-Interaktion: Teil 210: Prozess zur Gestaltung gebrauchstauglicher interaktiver Systeme (ISO 9241-210:2010) : Deutsche Fassung EN ISO 9241-210:2010 = Ergonomics of human-system interaction = Ergonomie de l’interaction homme-système. DIN Deutsches Institut für Normung, Berlin.