Rückblick: World Usability Day Frankfurt 2020 zum Thema "Designing Programmes"

Designing Programmes – Rückblick auf den World Usability Day 2020

World Usability Day 2020 – Designing Programmes
In diesem Artikel: Am 12. November 2020 fand der jährliche World Usability Day Frankfurt statt – dieses Mal als Online-Session. Über 150 Menschen aus der Designbranche und ihrem Umfeld diskutierten zum Thema „Designing Programmes“ eine Welt, in der schnittstellenübergreifend gearbeitet wird. Der WUD Frankfurt fungiert als Branchentreffen und Plattform zur Inspiration rund um die Themen Usability und Design. Wir richten ihn seit fünf Jahren gemeinsam mit der DB Systel aus. Das Wichtigste zur diesjährigen Veranstaltung erfahrt ihr in diesem Beitrag.

Designing Programmes im heimischen Wohnzimmer

Designer*innen sind heute fest in alle Phasen der Produktentwicklung integriert und mit Aufgaben betraut, die weit über die Gestaltung von Äußerlichkeiten hinausgehen. Entsprechend stehen wir als Einzelne und unsere Profession als ganze vor der Frage, was wir in Zukunft darüber hinaus bewirken können. Mit welchen Programmen können wir Lösungen für die komplexen Probleme entwerfen, die sich unserer Welt heute stellen?

Als wir am 12. November wieder zum jährlichen World Usability Day Frankfurt einluden, kamen 150 Expert*innen und Interessierte rund um die Branche zusammen, um diese und ähnliche Fragen zu diskutieren. Zur Abwechslung musste der WUD dieses Jahr online stattfinden und ihr habt uns direkt aus dem eigenen Wohnzimmer besucht.

An dieser Stelle schon einmal ein riesengroßes Dankeschön an Tim Heiler von Iconstorm und David Gilbert von der DB Systel für die Organisation unter erschwerten Bedingungen, an Yara Dobra (Iconstorm) für die charmante Moderation und an Friederike Mast von Yeah Yeah Yoga, die uns mit einer kurzen gemeinsamen Runde voller tiefer Atemzüge auf den Abend einstimmte. Wie immer fassen wir euch die wichtigsten Learnings in einem Blogbeitrag zusammen.

Es geht nicht mehr nur darum, Produkte zu gestalten, sondern darum, die Kontexte dieser Gestaltungsprozesse aktiv zu formen. Tim Heiler

Statt Lösungen für Aufgaben, Programme für Lösungen

Das forderte Karl Gerstner schon im Jahr 1964. In seiner Einführung holte Iconstorm-Geschäftsführer Felix Guder diesen Appell in die Gegenwart: „Heute sind wir von Programmen umgeben, die Lösungen anbieten; aber die Probleme, die es zu lösen gilt, sind viel komplexer, wie beispielsweise die Erderwärmung oder soziale Ungleichheit. Es lohnt sich deshalb, Gerstners Theorie unter neuen Gesichtspunkten zu betrachten und weiterzuentwickeln.“ Tim Heiler, Design Director bei Iconstorm, setzte das Motto des Abends anschließend in den Zusammenhang, der sich als roter Faden durch die Veranstaltung zog: „Es geht nicht mehr nur darum, Produkte zu gestalten, sondern darum, die Kontexte dieser Gestaltungsprozesse aktiv zu formen.“ David Gilbert, der beim WUD-Partner Deutsche Bahn die Technologie in das „Heavy-Metal-Business“ bringt, schickte uns mit einer grundlegenden Frage in den Abend: „Sind wir in der Lage, unsere persönliche, soziale Geschichte frei zu entwickeln – wollen wir Dinge ENT-werfen oder uns einem System UNTER-werfen?“

World Usability Day 2020: Die Talks im Überblick

Freiheiten in der Gestaltung schaffen – Christoph Grünberger
Freiheiten in der Gestaltung schaffen – Christoph Grünberger

Zum Einstieg in den Abend gab uns Christoph Grünberger Einblicke in sein Buch Analog Algorithm, das er als Hand- und Übungsbuch zugleich bezeichnet. Angelehnt an Gerstners Theorie ist es nach Bereichen in Grundformen, Schrift, Bild und objektbasierte Rastergestaltung gegliedert, und soll zur Arbeit damit inspirieren und anleiten. So möchte Grünberger aufzeigen, wie sich ausgehend von Grunddefinitionen Freiheiten in der Gestaltung schaffen lassen. Das Konzept holt damit eine heute häufig von Programmen übernommene Arbeit zurück ins Analoge und zeichnet zudem wortwörtlich vor, wie im Gestaltungsprozess individuelle Entscheidungen tieferen Prinzipien folgen als in spontan-intuitiven Aktionen. Wir danken für den spannenden Blick in das Buch und damit in die Gedankenwelt des Autors.

Ein Designsystem macht happy – Julia Riederer und Tim Zeidler
Ein Designsystem macht happy – Julia Riederer und Tim Zeidler

Warum Designsysteme eine gute Idee sind und Unternehmen wie Mitarbeiter gleichermaßen glücklich machen, erklärten Julia Riederer und Tim Zeidler, ein Designer-Entwickler-Duo von Iconstorm. Anhand anschaulicher Beispiele aus dem Arbeitsalltag analysierten sie die Schwierigkeiten einer Zusammenarbeit zwischen Designer*innen und Entwickler*innen. Wie Diskrepanzen überwunden werden, ohne die eine oder die andere Seite in ihren Freiheiten zu beschneiden, und warum sich das für Unternehmen auszahlt, zeigten sie an unserer hauseigenen Lösung: einem Designsystem aus Web Components. Falls ihr es nicht zum WUD geschafft habt und genauer in das Thema einsteigen möchtet, hat euch Tim dazu das Wichtigste in einem Blogbeitrag zusammengefasst.

Sinn-liche Programmierung durch Design – Prof. Dr. Thilo Schwer
Sinn-liche Programmierung durch Design – Prof. Dr. Thilo Schwer

Im nächsten Impuls stellte Produktgestalter und Designwissenschaftler Prof. Dr. Thilo Schwer die sinn-liche Funktion von Design in den Mittelpunkt. Wie schon der deutsche Designtheoretiker Jochen Gros aufzeigte, dürfen auch laut Schwer bei der Gestaltung von Produkten gefühlsbetonte Aspekte nicht außer Acht gelassen werden: „Produkte müssen rational, sinnvoll und reizvoll sein“. Dabei ist für ihn der freie, ergebnisoffene Suchprozess Grundvoraussetzung für die immer wieder andersartige Verknüpfung von Mustern. Das Ergebnis dieser neuen Verknüpfungen ist wiederum sinnlich erfahrbar und für die Herausforderungen unserer Zeit ziemlich wichtig: „Gestaltung ist ein Vorgang, der Routinen verändert“, beschreibt Schwer – und veränderte Routinen braucht die Welt im Moment.

Livechat – Prototyp vs. Produkt – Stephanie Blum
Livechat – Prototyp vs. Produkt – Stephanie Blum

Routinen in der Usability-Praxis sind in diesem Jahr – wie so vieles – durch die Pandemie unterbrochen worden. Die nutzerorientierte Produktentwicklung beschrieb Stephanie Blum von der DB Systel herrlich erfrischend am Beispiel des Livechats „Dialog am Gleis“ der Deutschen Bahn. Ziel war es, dass Mitarbeiter*innen die Kommunikation übernehmen, wenn der Chatbot an seine Grenzen stößt. Blum ließ uns teilhaben am langen Weg von Entwicklung bis Livegang mit all seinen typischen und untypischen Hürden. Beispielsweise der Durchführung kontinuierlicher Usability-Tests unter den neuen logistischen Herausforderungen von Remote-Arbeit. Danke für den praxisnahen Einblick in die vielen Facetten eines solchen Projektes und seiner Umsetzung im Großkonzern.

Künstliche Intelligenz als Chance für ein neues Rollenverständnis – Jennifer Heyer
Künstliche Intelligenz: Chance und Verantwortung – Jennifer Heier

Über Grenzen und Chancen Künstlicher Intelligenz (KI oder engl. AI) referierte die Industriedesignerin und Design-Doktorandin Jennifer Heier, die sich mit der Frage auseinandersetzt, wie Designer*innen die Entwicklung von KI beeinflussen können. Mit ihrem Reality Check verdeutlichte sie zunächst die häufig völlig unrealistische Erwartungshaltung an KI in der Praxis. Andererseits, so betonte sie, müssen wir uns auch immer wieder die Rahmenbedingungen bewusst machen – komplexe Systeme, in denen viele Menschen zusammenarbeiten und unzählige Anforderungen hineinspielen, sodass selbst ein Data Scientist nicht immer weiß, was sein neuronales Netz macht. Heier ruft uns in unserer Rolle als Designer*innen zur kritischen Auseinandersetzung mit KI auf, denn „noch dazu stehen wir vor der großen Herausforderung, dass die Systeme lernen und wir nie genau wissen, was am Ende mit dem Produkt passiert.“ Heier ermutigte dazu, unsere Gestaltungsaufgabe auch und gerade in Bezug auf KI aktiv zu übernehmen.

Design trifft Organisationsentwicklung – Kirsten Brühl im Gespräch mit Felix Guder
Design trifft Organisationsentwicklung – Kirsten Brühl und Felix Guder

Wie gelangen Unternehmen an die richtigen Leute mit den richtigen Skills? Wie schaffen sie es, eine Unternehmenskultur zu entwickeln, in der Design als Werkzeug fruchten kann? Dazu diskutierten Iconstorm-Gründer Felix Guder und Kirsten Brühl, Gründerin von LinkingMinds. Laut Guder arbeiten in (Design)Agenturen Menschen mit allen zukunftsrelevanten Fähigkeiten: Sie sind kreativ, können komplexe Probleme lösen und wollen ständig Neues lernen. „Auf Unternehmen trifft das derzeit noch nicht zu“, stellte er fest. Kirsten Brühl stimmte zu: Derzeit würde zwar eifrig über Schulungen versucht, ein Designdenken in die Unternehmen zu bringen – häufig führe es aber leider nicht zu wirklichen Veränderungen in der Organisationskultur. Damit Design im Unternehmen wirklich ankommt, setzen manche deshalb mittlerweile auf einen neuen – zukunftsträchtigen? – Ansatz beim Rekrutierungsprozess, wo nicht ausschließlich zählt, was Bewerber*innen bisher gemacht haben und können, sondern auch, welche Potenziale in ihnen stecken.

Und jetzt?

Auf dem WUD Frankfurt 2020 durften wir durch verschiedene Linsen auf eine von Programmen geprägte Welt blicken und stellten uns dabei immer wieder die Frage, wie sich Design in Bezug dazu positionieren kann und will. Christoph Grünberger und Thilo Schwer zeigten, dass Design grundlegenden Prinzipien folgt, die unserer Sinneswelt entspringen. Wenn wir diesen analogen Algorithmus auf digitale Programme anwenden, bietet uns das die Möglichkeit, unsere Lebenswelt in einem größeren Stil zu vereinfachen.

Was Vereinfachung bedeutet, konnten wir an den beiden Praxisbeispielen – Designsystem von Iconstorm und Chatbot der Deutschen Bahn – sehen. Und wenn dann noch KI ins Spiel kommt, wird es so richtig interessant, wie Jennifer Heiers Betrachtungen zur künstlichen Intelligenz gezeigt haben. Unsere Herausforderung wird es in Zukunft sein, trotz aller Automatisierung den Kontakt zu den Grundlagen guten Designs nicht zu verlieren. Und gleichzeitig müssen wir uns mit hochtechnologischen Phänomenen wie KI beschäftigen, um sie im Sinne des Menschen mitzugestalten.

 

Danke!

Wir bedanken uns bei unseren Referent*innen für die spannenden Impulse und beim gesamten Iconstorm-Team, das vor und hinter der Kamera dazu beigetragen hat, den ersten digitalen WUD in die Tat umzusetzen. Unserem Partner DB Systel danken wir für die wunderbare Zusammenarbeit und dem Hessischen Ministerium für Wirtschaft, Energie, Verkehr und Landesentwicklung für die finanzielle Förderung. Und nicht zuletzt geht unser Dank an euch. Dieses Jahr habt ihr euch aus den unterschiedlichsten Orten, teilweise weit weg von Frankfurt, zugeschaltet. Insofern hatte ein Event im Online-Format durchaus seine Vorteile.

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