Wie menschengerechte KI in der Medizintechnik eingesetzt werden kann

Iconstorm wird Teil des Forschungskonsortiums „A2I – Augmented Auditive Intelligence“

Grafuk: Forschungsprojekt Augmented Auditive Intelligence
In diesem Artikel: Iconstorm ist beteiligt am vom BMBF geförderten Forschungskonsortium A2I – Augmented Auditive Intelligence, das die Anwendung von KI-Technologien in der Medizintechnik erforscht. Ziel des Projektes ist es, eine Art erweitertes Hörgerät zu entwickeln, mit dem am Ohr medizinische Daten zum Monitoring des Gesundheitszustands erfasst werden können. Mitte März fand das Kick-Off Treffen mit allen sieben Projektpartnern statt.

Artificial & Augmented Intelligence

Künstliche Intelligenz ist jetzt in der Lage, praxisrelevante Probleme zu lösen – aktuelle Hardware wie Algorithmen unterstützen das inzwischen oft in Echtzeit. Dies gilt insbesondere auch für den Bereich der Medizin, wo der Einsatz von KI an vielen Stellen eine substantielle Verbesserung der Lebensqualität der Patient:innen verspricht. 

Kollege Computer hilft dabei, verlässlichere Vorhersagen zu treffen, mögliche Plausibilität aufzuzeigen, große Informationsmengen durch Filterung zugänglich zu machen, sowie komplexe Wechselwirkungen zu beschreiben und zu visualisieren. Jeden Tag, 24/7.

Der Forschungsansatz der „Augmented Intelligence“ (erweiterte Intelligenz) geht davon aus, dass sich Mensch und KI partnerschaftlich ergänzen und dabei die künstliche die menschliche Intelligenz und Kognition ergänzt. So können menschliche Entscheidungen verbessert werden.

Der aus der Mensch-Computer Interaktion (HCI) kommende Ansatz [1] stellt damit ein humanistisches Gegenmodell zu sog. transhumanen Träumen einer technologischen Singularität (Ray Kurzweil) dar, die uns Menschen irgendwann überflügeln sollen und die die Maschine generell [2] in den Mittelpunkt stellen.

Erweiterte Intelligenz nutzt dabei KI-Verfahren wie Mustererkennung, Deep Learning oder Machine Reasoning, um den Menschen zu informieren und in seinen Entscheidungen zu unterstützen. Die Maschinenintelligenz trifft aber selbst keine autonomen Entscheidungen. Nach dem Prinzip des „Human In the Loop“ werden dem Menschen die Grundlagen von Vorschlägen der KI transparent gemacht. 

Dies ermöglicht beides: mögliche Entscheidungen des Menschen können hinterfragt und korrigiert werden und die KI kann – aufgrund ihrer Eigenschaft aus bestehenden Datensätzen zu lernen – vorhandenen Bias erkennen und so bereits bestehende strukturelle Probleme aufzeigen.

 

A2I

Das Forschungsprojekt „Augmented Auditive Intelligence“, kurz A2I, wird mit seinen insgesamt sieben Partnern eine Art erweitertes Hörgerät entwickeln, das medizinisch relevante Daten liefert. Dieses mobile, bequem zu tragende Multi-Sensorsystem wird im Ohr  – einem idealen Ort zur minimalinvasiven und zugleich genauen Messung von Vitaldaten –  u.a. kardiovaskuläre Daten, die Hirnaktivität (EEG),  sowie Temperatur- und Bewegung bzw. Beschleunigung erfassen. Durch die Kombination der erfassten Daten und die Aufbereitung mittels KI ermöglicht das neue System, das im Prinzip auf einem modernen Hörsystem [3] aufgebaut wird, neue Ansätze in der Diagnostik und das Erkennen von Frühwarnsignalen, die bislang durch konventionelle Methoden verborgen bleiben.
So können aus den Daten bspw. der individuelle Stresslevel und die Höranstrengung (‚Fatigue‘) abgeleitet werden.

Die A2I-Plattform wird so neuartige Möglichkeiten zur Prognose und Diagnose von Gesundheitszuständen eröffnen, medizinische Entscheidungen unterstützen, sowie zur Prävention und zum ‚Patienten-Empowerment’ beitragen.

Dabei sollen unterschiedliche Anwendungsbereiche unterstützt werden:

  1. Für den audiologischen Bereich erwarten wir eine Verbesserung der Erkennungsleistung von Hörgeräten, die sich besser automatisch an die Umgebungssituation anpassen werden und den sog. „attendierten Sprecher“ [4] sicherer identifizieren. Zusätzlich kann eine Hörermüdung erkannt werden und das Hörsystem entsprechend reagieren.
  2. Im Bereich der Kardiologie erwarten wir uns eine Verbesserung bei der kontinuierlichen Überwachung von Herz-Risikopatient:innen und bei ihrer Betreuung.
  3. Im Arbeitsschutz wird ein dritter Anwendungsbereich gesehen. Hier können aus den Sensordaten Gefährdungs- und Ermüdungssituationen abgeleitet werden und durch entsprechende Analysen zu einer Verbesserung des Arbeitsschutzes beitragen und damit letzten Endes chronische Erkrankungen reduziert werden.

Dabei werden die genauen Anwendungsszenarien im Zuge des Forschungsprojektes noch identifiziert und ausgearbeitet werden. Dies erfolgt in einem Co-Creation Prozess zusammen mit medizinischem Personal, Ärzt:innen, Patient:innen und weiteren Anwender:innen und Stakeholdern.

Das zu entwickelnde A2I-System wird dabei iterativ entsprechend dem Human-Centered Design Prozess entwickelt und in klinischen Studien evaluiert werden. Ziel sind neben einem lauffähigen Demonstrator des Systems auch die Weiterentwicklung von methodischen Ansätzen und die Entwicklung von möglichen Geschäftsmodellen. 

 

Transdisziplinäres Forschungsteam 

Die inhaltliche wie organisatorische Komplexität des Vorhabens erfordert es, Partner mit verschiedenem Hintergrund an denselben Tisch zu bekommen.

Iconstorm übernimmt im Forschungskonsortium A2I die Rolle des Praxispartners für das Kompetenzfeld User Experience und Design mit dem Ziel der Integration des Human-Centered Design und des Business Design zur Entwicklung von Geschäftsmodellen.

Advanced Bionics ist ein Hersteller von Cochlea-Implantaten. Die Arbeitsschwerpunkte des European Research Center in Hannover liegen in der Ableitung der EEG-Signale über die intracochlearen Elektroden, der Entwicklung der Systemarchitektur und im Aufbau eines vernetzten Sensorsystems. 

Die Abteilung Neuropsychologie der Carl von-Ossietzky-Universität Oldenburg, Fakultät für Medizin und Gesundheitswissenschaften, wird die mobilen Datenerhebungen am Ohr verantworten und die vorverarbeiteten Datenströme dem KI System zur Verfügung stellen.

Der Lehrstuhl für Technologiemanagement des Institut für Innovationsforschung der Christian-Albrechts-Universität Kiel hat seinen Schwerpunkt in der Akzeptanz- und Adoptionsforschung. sowie den Geschäftsmodellinnovationen.

Das Institut für angewandte Telemedizin (IFAT) im Herz- und Diabeteszentrum NRW in Bad Oeynhausen unterstützt als eines der großen kardiologischen Versorgungszentren in Deutschland das Projekt im Rahmen der Anforderungsentwicklung und -verifikation, der Evaluierung und der Entwicklung des Datenschutzkonzept.

Das Kompetenzzentrum für Hörgerätesystemtechnik HörTech in Oldenburg ist als Spezialist für audiologische Anwendungen gemeinsam mit der Universität Oldenburg für die Entwicklung der KI-Algorithmen zur Bestimmung des attendierten [3] Sprechers zuständig. Darüber hinaus wird HörTech gemeinsam mit OFFIS die KI-Algorithmen zur Bestimmung der Korrelation zwischen den kardiovaskulären Daten, EEG-Daten und subjektiven Messungen entwickeln.

Das OFFIS – Institut für Informatik e.V. aus Oldenburg koordiniert das Projekt und ist für die echtzeitfähigen KI-Algorithmen zur kontinuierlichen Bestimmung des kardiovaskulären Zustands der Hörgeräteträger:innen, sowie der sicheren und datenschutzkonformen Anbindung des Telemedizinzentrums verantwortlich.

 

Forschungslinie Adaptive Technologien für die Gesellschaft – Intelligentes Zusammenwirken von Mensch und KI

Das dreijährige Forschungsprojekt startete am 1. März und wird gefördert vom Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF), das mit seinem Programm „Technik zum Menschen bringen“ innovative Forschungs- und Entwicklungsvorhaben der Mensch-Technik-Interaktion fördert, die Methoden der KI nutzen, um Menschen bei Problemlösungen optimal zu assistieren. 

Für die gesamte Förderlinie „Adaptive Technologien für die Gesellschaft – Intelligentes Zusammenwirken von Mensch und KI“ wurden nur neun Projekte aus 137 Einreichungen ausgewählt.
Das Forschungskonsortium A2I wird vom Bund mit rund 2,1 Mio Euro gefördert.

Wir freuen uns, das wir dabei sind. 

 

 

[1]  Doug Engelbart, einer der prägenden Visionäre der Mensch-Computer Interaktion verfasste 1962 eine Vision der Mensch-Computer-Kooperation unter dem Titel „Augmenting Human Intellect: A Conceptual Framework“.
[2]  Eine ‚generelle‘ (bzw. ‚starke‘) KI (engl. Artificial General Intelligence) existiert nach wie vor noch nicht. Sie entspricht aber in etwa HAL9000, den wir aus Stanley Kubricks ‚A Space Odyssey‘ (1968) gut kennen: „No 9000 computer has ever made a mistake, or distorted information. We are all, by any practical definition of the word, foolproof and incapable of error.“ [Quelle]
Nach Ray Kurzweil soll die technische Singularität um das Jahr 2045 eintreten.
[3]  Einem Bereich, in dem wir seit über 10 Jahren große Erfahrung durch die enge Zusammenarbeit mit unserem Kunden audifon haben.
[4]  Also denjenigen sicher zu erkennen, auf den sich die Aufmerksamkeit bspw. im Gespräch bei einer Party konzentriert und störende Umgebungsgeräusche zu unterdrücken –  analog unserer selektiven Wahrnehmung.